Die andere Heimat - Chronik einer Sehnsucht
Wieder ein historischer Schwarz-Weiß-Film. Die Szene bildet ein Dorf irgendwo im Hunsrück, zur Mitte des 19. Jh. Das Motto: Das Leben ist kein Wunschkonzert - man kann sich aber dran gewöhnen und das Best-mögliche oder am wenigsten Schlechte daraus machen. Hier sieht man nicht, wie Menschen sich ihre Träume verwirklichen, sondern wie Selbstverwirklichung aussieht, wenn selbstbeherrschte Verantwortung unter den dominierenden Zwängen übernommen wird. Das Modell des selbstbewussten Lebens ist hier in der Weise der Sehnsucht gestaltet. Objekt der Sehnsucht ist wie so oft das Exotische und Fremde, aber auch die Liebe, und unser Held der Erzählung ist ein leidenschaftlicher Verehrer der Fremde sowie des Wissens über sie (die exotische Neue Welt, Indianer). Das hebt ihn aus seinem dörflichen Umfeld heraus, dass sich sonst nur von den Umständen periodisch erscheinender Schicksalsschläge dazu antreiben lässt, seine Furcht vor der Fremde aufzugeben, indem die Furcht vor dem Bekannten überwiegt.
Die Pointe ist: Scheinbar befindet sich der Zuschauer des Films zum Thema des Schauspiels in einem analogen Verhältnis, wie unser Held zur Fremde und zu den Indianern. Er verfügt mit Büchern über ein Medium, über welches die beschriebenen Indianer nicht verfügen und lediglich von den Beobachtern geschaffen werden, ähnlich verhält es sich mit Edgar Reitz, seinen Schauspielern und seinen Zuschauer in der Zuhilfenahme das Instrument des Films, um die alte filmlose Zeit in den Blick zu bekommen. Über weitere Analogien ließe sich spekulieren; sie betreffen definitiv den appellativen Aspekt des Films.
Die andere Heimat ist kein schöner Film, aber ein echt guter. Er ist schmutzig, eng, unsentimental und mühselig – letzteres auch für den Zuschauer. Ein Film von 4 Stunden Laufzeit, mit unzähligen Szenen in schleppender Geschwindigkeit und äußerst minimaler musikalischer Untermalung. Zwar schreibt unser Held Tagebuch, aber erleichternde Kommentierungen der Handlung sind Mangelware. So wie die Menschen den Feldern ihre kargen Lebensmittel abringen, so ringt man dem Film einen erzählerischen Zusammenhang in Bezug auf das Thema – die Sehnsucht - in harter mitlaufender Überlegung ab. Gleichwohl kommt einem das Schritttempo des Films entgegen. Aber man sieht, dass auch Mühsal ihre Faszination besitzt.