Ich beschäftige mich seit knapp 16 Jahren sehr intensiv mit diversen Kampfkünsten, habe 8 Jahre aktiv Shinson Hapkido gelernt und unterrichtet und war danach an der Entwicklung des im Jahr 2000 aus dem SS HKD entstandenen Chayu In Do beteiligt.
Ich denke, wenn sich jemand für Kampfkunst interessiert, jedoch nicht weiß, was er lernen möchte, wird er sich zunächst 2 grundlegende Fragen stellen müssen:
1.) Was wird in meiner (für mich erreichbaren) Umgebung überhaupt angeboten?
2.) Interessiere ich mich für Kampfkünste oder für Kampfsportarten? Es gibt ganz grundlegende Unterschiede und wer seine Leidenschaft für Kampfkünste gefunden hat, wird sich selten ebenso für Kampfsport interessieren (und vice versa) - einfach weil es zwei verschiedene Welten sind. Kampfsportarten (im folgenden KS) und Kampfkünste (KK) unterscheiden sich in den folgenden grundlegenden Merkmalen: a.) KS sind meist wettkampforientiert, KK nicht. Alle KS und KK beanspruchen für sich, an der förderlichen Persönlichkeitsbildung ihrer Lernenden interessiert zu sein, allerdings steht dies (auch wenn sich die KS-Anhänger nun empören werden) bei KK deutlich stärker im Vordergrund als bei KS, in welchen Leistung und Wettkampf stärker von Bedeutung sind. b.) KS sind in der heutigen Erscheinungsform "modern". Sie haben zwar traditionelle Wurzeln, wurden jedoch oft erst im letzten Jahrhundert in der heutigen Form gegründet und strukturiert, viele davon auch gar nicht im Ursprungsland. c.) KS sind im Vergleich zu KK hinsichtlich der Ausbildungsinhalte reduziert und spezialisiert. Judo spezialisiert sich z.B. auf Würfe, Falltechniken, Bodentechniken etc., beinhaltet aber nicht den Umgang mit Waffen (Katana, Wakizashi, Tanto, Bokken, Tonfa, chinesische, koreanische u. a. Waffen, Lang-, Mittel-, Kurzstock und viele mehr), keine (Sprung)-tritte u.v.m. Taekwondo spezialisiert sich auf (Sprung-) Tritttechniken und Handtechniken, weniger mit Waffen, Hebel- und Bodentechniken usw. KK sind traditioneller und somit wesentlich ganzheitlicher. d.) In KS hat die unterrichtende Person "Trainercharakter", in KK eher "Lehrercharakter", was unterschiedliches Verständnis hinsichtlich der Beziehung Trainer-Schüler und der Aufgaben voraussetzt. Dazu möchte ich hier aber nicht weiter eingehen. e.) KS sind meist in Verbänden und Associations organisiert. KK manchmal auch, sie können aber auch privater und individueller organisiert sein - Mitgliedsbeiträge sind in KS daher meist (nicht immer) günstiger.
Es gibt noch viele weitere Differenzierungsmerkmale, aber die o.g. dürften zunächst die wesentlichen sein. Außerdem zeigen einige Martial Arts (die englische Sprache unterscheidet nicht zwischen KS und KK) Merkmale sowohl von KK als auch von KS, wie z.B. das Wing Tsun und einige andere. Ich persönlich unterscheide neben KS und KK noch eine dritte Sparte, nämlich die effektive Selbstverteidigung (SV), die in vielen KK und KS Teil des Konzeptes ist, jedoch von nur ganz wenigen Martial Arts ohne Rücksicht auf Ästhetik oder Formwahrung praktiziert wird, um größtmögliche Effektivität zu erreichen. Hier wären Wing Tsun (auch VC und andere Formen), Jeet Kune Do und Gracie Jiu Jitsu zu nennen. Ganz typische Kampfsportarten sind Judo, Taekwondo, Boxen, Kickboxing, Muay Thai, Shotokan Karate, Kyokushinkai Karate, Ju Jutsu (letzteres mit Einschränkungen) und einige mehr. Typische Kampfkünste sind Wu Shu (Kung Fu), Hapkido, Hwa Rang Do, Vo Vi Nam (Viet Vo Dao), Aikido (letzteres mit Einschränkungen), Capoeira, Pentjak Silat und viele mehr.
Die oft aus der buddhistischen Denk- und Kulturtradition stammende geistige Haltung, die in den meisten Kampfkünsten vermittelt wird, ist qualitativ und quantitativ unterschiedlich ausgeprägt - so kommt der Beschäftigung mit dem spirituellen oder persönlichkeitsbildenden Aspekt beispielsweise im Shaolin Kung Fu deutlich mehr Bedeutung zu als im Ju Jutsu.
Möchte man sich also nicht einfach für die "nächstbeste" Martial Art entscheiden, so sollte man sich meiner Meinung nach eingehend mit den einzelnen KK, KS und SV, die angeboten werden, befassen. Denn es könnte es sich ja um eine langjährige Ausbildung handeln - und schließlich sucht man sich eine Uni oder Berufsausbildungsstelle auch sehr gewissenhaft aus.
Wenn ihr weitere Fragen oder Kommentare habt, könnt ihr mir gerne hier im Forum schreiben.
Den Suchenden viel Erfolg bei der Suche der richtigen Ausbildungsstätte