Der rote Raum
Ich starre an die Decke. Meine Gedanken sind frei. Ich denke über das Leben nach und ich denke über den Tod nach. Beides stelle ich auf eine goldene Waage. Was wiegt mehr?
Ich schließe meine Augen und drehe um. Ich öffne meine Augen und suche nach einem neuen Weg.
Schatten verfolgen ihr Abbild. Der DJ spielt
"winning" von
the Sound. Ich habe verloren. Mich berühren andere Schicksale nicht. Meins auch nicht. Ich habe mein Leben seit heute verloren. Kann nicht mehr lachen, kann nicht mehr fühlen, kann nicht mehr sehen, will nichts mehr wahrnehmen.
Ich fixiere meinen Blicken an eine Zeichnung.
Tränen schießen mir aus den Augen, als ich begreife, das dies, das Ende ist. Das Ende des Lebens.
Sanft führt meine leere Hülle tanzende Bewegungen aus. Ich bin in Trance. Nach 4.20min ist alles vorbei. Ich hocke zusammengekauert auf dem Boden und zittere. Warum schaut ihr mich alle so an. Ich bin kein Tier! Verdammt, ich bin kein Tier!
Zu schmerzhaft ist die Erinnerung an den letzten Kuss. Zu intensiv ist immer noch das Gefühl deiner Nähe.
Ich will dich nicht loslassen. Bleib bei mir. Lass mich nicht allein.
Du fehlst mir. Seit du gegangen bist, habe ich nicht mehr schlafen können, konnte ich nicht lachen, nichts essen und nichts spüren, was sich auch nur annähernd so anfühlt, wie Freude.
Ich hätte dir noch so viel sagen wollen.
Ich sammle meine letzte Energie zusammen um mir erneut den Weg in die Mitte der Tanzfläche zu bahnen.
Emotionslos führe ich meine tanzenden Bewegungen fort. Ich vergesse alles um mich herum.
Es ist ein Kampf. Ein Kampf gegen mich selbst. Es läuft
"Transmission" von Joy Division.
Ich bin nicht die Einzige mit einem gebrochenen Herzen in diesem Raum.
Jemand spricht mich an und fragt, ob alles okay sei? Fragt er mich das ernsthaft? Ob alles okay sei?
Nichts ist okay! Unter Tränen laufe ich aus dem Raum.
Draußen ist es kalt und windig. Ich irre umher. Ich weiß nicht genau, wo ich mit mir hin soll.
Wo soll ich hin? Nach Hause? Das kann ich nicht.
Ich habe noch deinen Wohnungsschlüssel. Ich würde dir ihn gern wiedergeben.
In deiner Wohnung. Dort wo alles begann und alles endete. Du warst noch so jung.
Ich lege mich in dein Bett. Alles riecht nach dir. Bilder von uns, hängen noch an deinen Wänden. Ich dachte, du hättest sie weggeworfen.
Ich zünde Kerzen für uns an.
Es ist so unerträglich ohne dich. Mein Verlangen den Schmerz des Verlustes, durch einen anderen Schmerz zu betäuben, wächst. Verzweifelt suche ich Klingen. Ganz so, als hättest du an mich gedacht, finde ich noch eine neue Packung im Bad.
Ich schaue mich im Spiegel an. Was ist nur aus mir geworden? Deine Mutter nannte mich eine „kleine dreckige Punkerin ohne Zukunft...“. Vielleicht hatte sie ja garnicht mal so unrecht. Mittlerweile könnte das echt zutreffen. Du hast mich so gemocht, wie ich bin. Dafür habe ich dich immer beneidet. Ich kann mich bis heute noch nicht akzeptieren, geschweigedenn, dass ich immer noch existiere, aber du gibst mir wieder einen Grund, dies auf die Probe zu stellen.
Ich suche eine Stelle an meinem Körper, die noch unberührt ist.
Gezielt setze ich die Klinge an und übe mit Druck, die schneidende Bewegung aus.
Es tut so gut, dich in diesem Moment nicht in meinem Kopf zu haben.
Ich tue es wieder und wieder und wieder. Die weißen Fließen auf den Boden, sind mit einem warmen Rotton verziert.
Im Hintergrund läuft Lacrimosa mit „Erinnerung“. Ich kann mich im Moment an nichts erinnern. Meine Gedanken sind frei.
Das einzige, was ich noch wahrnehme, sind die letzten Textzeilen des Songs..:“Errettet mich, erschaffe mich, verführe mich mit dir. Ich bekenne dich, ich liebe dich, ich hasse dich dafür.. Erinnerung, gib mir deinen Sinn“
Alles wird dunkel. Die letzte Kerze geht aus. Die letzten Taten haben für sich gesprochen.
Ich verabschiede mich für immer.
Mit letzter Kraft schwanke ich in dein Zimmer, um mich in dein Bett zu legen.
Ich beginne zu schlafen. Meine Seele löst sich auf und nun ist da, wo vorher du warst, nur noch Leere.
Die Musik läuft weiter...es kommt..“
der Morgen danach“...
Ausgabe: September