Die Geschichte der Literatur in Deutschland füllt selbst als Sekundärliteratur ganze Bücherwände. Aber es geht auch handlicher – auf nur 160 Seiten. Heinz Schlaffer zeigt kurz und präzise, warum die deutsche Literatur so war, wie sie war, und wieso sie zu dem wurde, was sie ist.
Weniger Geschichte - mehr Zeit für Literatur
Schlaffers grundsätzliche Haltung zum Thema Literaturwissenschaft ist radikal, aber aufschlussreich. Je weniger man über Literatur redet, desto mehr Zeit bleibt dafür, sie zu konsumieren. Freunde hat er sich dadurch, in manchen Fachkreisen, nicht gemacht - denn das kann leicht als Kritik an der Literaturwissenschaft selbst missverstanden werden.
Schaut man sich aber das Büchlein genauer an, wird schnell klar, dass es als solche nicht gemeint ist. Im Gegenteil. Schlaffer ist in der Literaturwissenschaft verortet, und er kann auf sie in seinen Ausführungen auch gar nicht verzichten.
Dennoch gelingt es ihm, die geisteswissenschaftlichen Hintergründe ganzer literarischer Strömungen in nur einem Abschnitt auf den Punkt zu bringen. Autoren und Werke liegen ihm nicht so sehr am Herzen, wie der systematische Überblick, und das grundlegende Verständnis dafür, was essentiell wichtig und vor allem charakteristisch für einzelne Epochen ist.
Er beschäftigt sich auch mit der Frage, die vielfach in wissenschaftlichen Abhandlungen zu kurz kommt: Wieso schreibt ein Autor? Welchen inneren Druck verspürt er, als Mensch seiner Zeit, um Schreiben zu müssen?
Alles vor Lessing ist unwichtig
So sind Schlaffers Thesen radikal - deutsche Literatur vor Lessing ist nicht relevant. Das hat nichts mit ihrer Qualität zu tun, sondern damit, dass Lessing der “Stifter der neueren deutschen Originalliteratur“ ist - weder Gryphius noch Eschenbach haben vorher eine vergleichbare Tradition begründet.
1950 – der Tod der deutschen Literatur
Genauso provokant, wie auch polemisch überspitzt, ist Schlaffers These, dass die Literatur seit kurz nach dem Krieg, genauer ab 1950, tot ist. Bestätigen kann man das ganz einfach, meint Schlaffer. Man solle nur die Vorkriegsliteratur mit der Nachkriegsliteratur vergleichen, also Thomas Mann und Franz Kafka mit Heinrich Böll und Günter Grass. Dann sollte einem schnell klar werden, worum es Schlaffer geht: Der Krieg ist eine Zäsur - ein Schock - der ein Schreiben lange Zeit beinahe unmöglich machte, sagt er.
Er strebt jedoch bei allem keine Vollständigkeit an, er möchte verstehen, und er möchte auch, dass der Leser verstehen kann.
Literaturgeschichte im Schnelldurchgang – plausibel und folgerichtig
Schlaffer ist mit dem vorliegenden Buch ein großes Wagnis eingegangen, eines, das sich aber gelohnt hat. Seine Thesen sind plausibel und kaum angreifbar, er beschäftigt sich mit dem Menschlichen, woraus Literatur immer besteht und bestehen muss. Und ihm gelingt es dabei die spezifische Eigenart der deutschen Literatur - und ihrer "Allzumenschlichen" Autoren - herauszustellen.
Ein Muss für Jene, die gerne nach einem "Wieso" fragen!
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