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Porträt eines Randalierers
"Wir wollen zeigen, dass wir die Schnauze voll haben"
Frankreichs Innenminister Sarkozy hat sie als "Gesindel" bezeichnet. Soziologen sprechen davon, dass sie "benachteiligt" seien. Wer sind die Jugendlichen, die Autos und Geschäfte in den Vorstädten von Paris anzünden?
Von Stefanie Markert, SWR, Hörfunkkorrespondentin Paris
Hochhausfassade in Clichy-sous-Bois.
Heruntergekommene Hochhäuser prägen das Bild vieler Vorstädte von Paris]
Ich treffe Issa hinter einer Hecke an einem Kreisverkehr in Aulnay-sous-Bois, einem der Brennpunkte der letzten Nächte. Der Schwarzafrikaner ist groß, schlank und hat eine Kapuze auf dem Kopf. Man hält den Zwanzigjährigen eher für einen Teenager. Issa erzählt über sein Leben: "Ich mache nichts. Ich habe vor drei Jahren die Schule abgeschlossen und kann weder Ausbildung noch Arbeit finden. Ich war auf dem Arbeitsamt. Nur Zeitjobs hab ich gehabt. Und von den neuen Arbeitsmarktreformen aus dem Fernsehen kommt bei uns doch nichts an. Von 50 Arbeitslosen findet dadurch vielleicht einer was. Und die anderen 49? Wir suchen, suchen, suchen und finden nichts."
Turnschuhe für 150 Euro - mit schmutzigem Geld bezahlt
Unterstützung erhält Issa nicht, er schlägt sich auf der Strasse durch mit Geschäften, illegalem Handel. Das funktioniere immer. An seinen schwarz-weißen Trendklamotten kann man es ablesen. "Ich fordere von meinen Eltern kein Geld", sagt Issa. "Sie verdienen schlecht und müssen schon die Miete bezahlen und uns ernähren. Meine Turnschuhe kosten 150 Euro, die Kapuzenjacke auch so viel. Das bezahle ich mit schmutzigem Geld. Wenn meine Eltern das kaufen sollten, müsste meine Familie hungern."
Issa hat drei Brüder und drei Schwestern. Seine Eltern stammen aus Mali. Er selbst ist in Frankreich geboren und hat einen französischen Pass. Doch er hat Frust: "Mir gefällt nicht, wie uns die anderen gegenüberstehen. Sie sind mißtrauisch und akzeptieren uns nicht. Sie sagen, wir sind keine Franzosen. Sie wollen nichts mit uns zu tun haben. Sie stecken in ihrer und wir in unserer Ecke."
"Die, die eine Fabrik anstecken, die kapieren nichts"
Issa zeigt auf beigefarbene Punkthochhäuser hinter dem Kreisverkehr. Das sei seine cité, sein Territorium. 3000 Wohnungen gebe es da. Dort sind die Nächte heiß. Die Polizei mit Steinen bewerfen, ja, das seien sie. Autos neben einem Kommissariat anzünden, das seien sie auch. Aber Schulen oder Krippen abfackeln, "das sind doch Schwachsinnige", grenzt sich Issa ab. "Und die Leute, die eine Fabrik hier angesteckt haben, die kapieren nichts, das ist schließlich Arbeit für uns".
Innenminister Sarkozy: Hassfigur Nummer 1
Er weiß, dass Sympathien verspielt worden sind. Doch er zieht weiter los, erzählt seinen Eltern abends, er gehe zur Freundin oder zu Verwandten. Dabei hat ihn nicht so sehr der Unfalltod zweier Gleichaltriger, aus denen die Gerüchteküche Polizeiopfer gemacht hat, auf die Straße gebracht. Vielmehr war es die Tränengasgranate in einer Moschee, die die Polizei nicht geworfen haben will. Und da ist noch die Hassfigur Nummer 1, der französische Innenminister. "Er hat gesagt, er werde alles reinigen hier vom Abschaum, von den Gammlern und dem Krebsgeschwür. Die Äußerungen können wir nicht akzeptieren. Er kommt in die cité und provoziert uns." Genau wie die Polizei - die sei nur nett, wenn sie in der Unterzahl sei, sonst aber machen sie uns an, schubsen und filmen uns mit versteckten Kameras, meint Issa.
"Wir wollen der Regierung zeigen, dass wir die Schnauze voll haben von Frankreich und seinen Gesetzen, davon, dass wir immer Zielscheibe der Polizei sind", dreht Issa den Spieß um. An das Vorhaben, die Viertel zu sanieren, glaubt er nicht. Das treibe doch nur die Mieten hoch. Auch neuen Notplänen vertraut er nicht, die Probleme der Vorstädte seien schließlich seit 30 Jahren ungelöst. Und wenn Issa doch Arbeit findet, hört er dann mit dem Dealen auf? "Auch dann werde ich handeln, aber weniger, man braucht eben Geld. Doch wenn wir arbeiten, machen die Jüngeren weiter. Ihnen muss der Staat zuerst helfen klarzukommen."
Fußball gucken und Kühlanlagenbauer werden
Issas unmittelbares Ziel ist es, nicht erwischt zu werden. Seine Anführer haben bereits zur Ruhe aufgerufen. Das Image des Departements soll nicht weiter beschädigt werden. Issa denkt daran, was er dann wieder an den Wochenenden machen wird: Fußball gucken und tanzen gehen. Und von seinem Wunschberuf träumen. Der Schwarzafrikaner möchte Kühlanlagenbauer werden. Zuerst aber müssen sich die erhitzten Gemüter abkühlen.