Wenn er passt, dann geht es weiter.
Mir scheint, es ist Vollmond, mein nächtlicher Engel und ich lehne meine Gedanken an Dein Gefieder und streiche sanft über Deine Haut. Es ist wieder viel zu spät geworden und morgen werde ich mir den Rest der Nacht müde aus den Augen prügeln müssen. Doch es ist unser Augenblick, daß ich nach Dir rufen kann.
Mir haftet das Wochenende wie ein Totalschaden nach. Ich fühle mich um Jahre gealtert. Eigentlich solltest Du mich so nicht sehen, so abgerissen, so von der Wirklichkeit gebeutelt. Ich bin geneigt, dem Irrtum zu erliegen, ich könnte diese Nacht durchschreiben und bei Dir weilen. Aber im nächsten Moment mache ich mir klar, an welchen Kreuzungen ich meinen Missmut und den meines Polos nur noch steigern würde. Ich sollte einfach nur in Deinen zarten Schwingen einschlafen, jetzt, in diesem Augenblick. Bis all dieser Missmut von alleine verschwindet. Er wird es aber nicht tun, denn er erwartet mein Handeln.
Ich bin wieder an meinem See gelandet, beinahe sehe ich es als eine Flucht an. Ich bin dieser Hauptstadt in dieser Nacht entkommen. Ich bin „mir“ entkommen und meinen Eitelkeiten. Und ich habe mir noch in der gleichen Nacht Hände auf meine zerütteten Schultern legen lassen und habe sie gespürt. Es tat gut; und ich habe meine schmutzigen Hände spüren lassen und es fühlte sich wunderbar an. So kann man erkennen, ob man noch lebt, mein nächtlicher Engel. Müde ja, aber ich scheine noch zu leben.
Jetzt wollte ich Deiner Weiblichkeit mit meinen Lippen begegnen, mein nächtlicher Engel. Dich liebe ich, so, wie ich Dich erahne und es mir niemals gelingen wird, dem doch gerecht zu werden. Es ist ein Widerspruch, ich weiß, aber haben nicht die Weisen diese Erkenntnis entdeckt? Wir leben jeden Widerspruch.
Das Mondlicht beruhigt mich. Ich fühle mich geborgen in der Einsamkeit mit Dir und diesem Moment. Allmählich verlieren sich die Ängste, die mich noch vor wenigen Minuten in Schach hielten. Hier an diesem Ort zu dieser Jahreszeit fühle ich mich beschützt. Ruhe kehrt ein in meinen Gedanken. Sanft kann ich mich trennen von der Lust, meiner Liebsten nachzuweinen. Habe ich doch weitaus schlimmere Verluste erprobt in meinem uferlosen Leben. Würde ich heute vergehen müssen, so könnte ich sagen, mein Leben war bunt.
Ich denke mit Wehmut zurück an die Stunden im Cafe Schwarz, an denen ich Dir schrieb, aufgewühlt, wie ich war und noch oftmals bin. Ein Treffpunkt der Heimatlosen, der Träumer und Reisenden, deren Seelen aus den Augen leuchten. Selbst Vagabunden, Verwirrte und Zerstörte fanden Platz an diesem Ort, sofern sie nicht mit Absicht den Frieden spalteten.
Vorbei wird es bald sein, all dieses Bemühen, einen Raum zu erschaffen, der schlichte Freundschaft bindet und Heimat bietet. Sie lassen sich anfühlen, die Nöte und Sorgen allenthalben, wenn auch die Gemüter der Menschen ihr Lächeln nicht aufgeben, weil es aus dem Innern kommt und nicht verpfändbar ist. Es wird eine kleine Kondensmilchflasche sein, mein nächtlicher Engel, die mich eines Tages wieder daran erinnern wird. Vielleicht sollte ich noch versuchen, einen wackligen Stuhl und einen kleinen Tisch von T. zu ergaunern, dessen Laden manch Halenser so verspottete, bevor all dies wieder sein Ende gefunden hat. Dann könntest Du später all diese Gedanken nachfühlen, von denen ich Dir hier schreibe. Aber das wäre nun müßig, denn ich weiß garnicht, ob Du es jemals spüren solltest.
Bald muß es wieder Frühling werden, mein nächtlicher Engel, mit, oder ohne meine Erscheinung. Ich warte auf diesen Augenblick wie ein kleiner Junge, der seinen Grill ausprobieren will. Da steckt soviel Hoffnung dahinter, wie ich es garnicht beschreiben kann. Ich weiß, es mag lächerlich klingen, denn ich habe schon so oft den Frühling erfahren. Doch noch jeder war anders als der letzte, und ich finde, das ist Grund genug, sich doch zu freuen auf all dieses Grün, das uns bevorsteht. Und nicht jeder Frühling war mit Trauer besetzt, wenn ich mich recht erinnere. Also warte ich auf ihn, mein nächtlicher Engel, daß uns nur noch die lauwarme und nach Leben duftende Luft trennt.
© georg.k, 13.02.2006 Brief 7