@subhuman mind (und andere): Ich bestreite nicht, dass es in einem gewissen Sinn „Pioniere“ gibt, welche prägend waren, und auch nicht, dass die Majorität aller Kulturen von den Innovationen zehrt, die auf solche Pioniere zurückgeführt werden können. Fraglich ist jedoch, wo gegenwärtig Innovationen festzustellen sind; nimmt man den Begriff „innovativ“ ernst, ist bspw. festzustellen, dass TBM innovativ ist. Häufiger Click Click, Pankow, the Cassandra Complex oder the Neon Judgement hören oder spielen zu wollen (wie z.B. ich es will) nicht innovativ, sondern reaktionär. Und genau darum spreche ich von der selbsternannten(!) Avantgarde. Und letztlich ist gerade das „etwas Altes wagen“ genau das, wovor du zu warnen scheinst; eine Kopie des Stilprägenden zu werden.
Also lautet meine Frage eigentlich, ob die reaktionären Etablierten sich zwischen Protest und Resignation entscheiden sollten. Diese Frage war eigentlich sarkastisch; natürlich gibt es einen Mittelweg; und zwar einerseits den Versuch zu starten, auch dem neuen Publikum gewisse Klassiker nahezubringen, und sich zugleich andererseits wirklich innovativen (oder richtig gut geklauten) Sachen nicht zu verschließen und den „Zeitgeist“ zu berücksichtigen. Ich denke du meinst genau das mit der Aussage „alt mit neu zu kombinieren“ .Ich erlaube mir jetzt die Behauptung, dass z.B. Noiseboy diesen Mittelweg fährt, und zwar nicht mal schlecht. Möhre´s Argumentation fand nach meinem Empfinden aber zwischen „ist doch alles kacke, was heute passiert“ und „ich hab keinen bock, was dagegen zu tun“ statt, und eigentlich wollte ich nur diese Ambivalenz thematisiert wissen.
Und gerade die Tatsache, dass sich die eigentlich Reaktionären, zu denen ich natürlich auch gehöre, als innovative Speerspitze der „Szene“ betrachten können, ohne dass es diesbezügich irgendeine Verwirrung gibt, indiziert eben die Definitionshoheiten, welche ich als problematisch erachte. Zu diesen Hoheiten gehört die Bestimmung dessen, was guter und was schlechter Geschmack ist. Ich denke, es gibt keinen guten oder schlechten Geschmack, nur legitimen und illegitimen Geschmack. Und gerade der legitime Geschmack, also der Geschmack, welcher nicht individuell autark gewählt wurde, sondern kollektiv legitimiert wurde, gilt als der gute Geschmack; demnach haben nicht die Individualisten eine große Chance, etwas zu bewegen, sondern nur die relativen Konformisten. Und der „Kampf um den Geschmack“ ist in Halle wie anderswo der Kampf zweier Gruppen von verschiedenen Konformisten. Darum auch kein „besser“ oder „schlechter“; bei den einem ist „Whitehouse“ Industrial, bei den anderen „Combichrist“.
Insofern hast du Recht; man kann eigentlich immer alles spielen, nichts geht gar nicht. Schließlich ist man nicht nur Sklave, sondern auch Autorität des Publikums. Dann gilt dies aber bzgl. Modischem genauso wie bzgl. Klassischem.