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Film - Top oder Flop
#31
Alois Nebel
Ein Film der wesentlich an der Handlung vorbei filmt. Wie macht man das? Indem die Hauptfigur wenig selbstmotiviert handelt. Er reagiert auf die Aufforderungen oder auf die Ratschläge anderer und verbleibt sonst in seinen Routinen. Eigene Motive zeigen sich kaum. Auch Störungen seiner Routinen nimmt er ungeregt hin, auch wenn er kaum selbstständig auf diese Störung reagiert. Selbst schöne Ereignisse tastet er nur zaghaft mit einer richtunggebenden Handlung an. Was Alois macht, hat eigentlich keine Auswirkungen auf das, was ihm wiederfährt. Dies ändert sich auch dann nicht, wenn er gen Ende sein Herz entdeckt, klare Wünsche zeigt und zu handeln versucht. Selbst dann nehmen die Ereignisse ihren Lauf, wie sie ihn auch ohne sein nun eigenständiges Handeln genommen hätten. Allein sein Wille macht nun den Unterschied! Die eigentliche Handlung könnte nun überhaupt erst beginnen. Erst jetzt hat sich eine Figur entwickelt, die mit Willen handelt und den Fortgang der Handlung bestimmen oder wenigsten aktiv beeinflussen kann.
An welcher Handlung filmt der Film bis dahin vorbei? Andere Figuren handeln. Selbst die Weltgeschichte handelt, der Film spielt im Tschechien des Jahres 1989. Andere Figuren zeigen Motive, verändern durch ihr Handeln ihre Situation wie auch den Fortgang ihrer Handlungsstränge. Sie übernehmen dann und wann in Bezug auf Alois die Initiative. Dies mal zu seinem Nachteil, mal zu seinem Vorteil, jedoch ohne Aussicht das Wesentliche in seiner Entwicklung bewirken zu können.
Alois verdrängt eine traumatische Erinnerung aus seiner Kindheit. In der Erinnerung beginnt jedoch das selbstbestimmte Handeln. Wer kann denn schon non-stop spontan sein? Ohne einen selbstbestimmten Umgang mit seiner erinnerten Vergangenheit gelingt ihm auch keine selbstbestimmte Handlung in der Gegenwart. Hier zeigt sich dann auch die eigentliche Handlung, nicht in den außenweltlichen Resultaten seines Handelns. Seine Erinnerung hat dabei mit der Geschichte seines Vaterlandes zu tun und macht sein Leben zu einem Symptom der nationalen Geschichte.
Hier zeigt sich dann eine Parallele zwischen Figur und Filmtechnik! Die eigentliche Entwicklung der Figur zeigt sich in geradezu belanglosen Momenten, seine innere Realität bleibt größtenteils unbemerkt. Der Film in Rotoskopie gedreht, zeigt nur weniges, das nicht durch die Tricktechnik überarbeitet worden ist. Mal ist es eine Tür, mal ein Tisch oder die Tischdecke, Mauerwerk, etc. Nie ist es ein Mensch oder Teil eines Menschen und immer sind es unscheinbare Ausschnitte.
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#32
Die andere Heimat - Chronik einer Sehnsucht
Wieder ein historischer Schwarz-Weiß-Film. Die Szene bildet ein Dorf irgendwo im Hunsrück, zur Mitte des 19. Jh. Das Motto: Das Leben ist kein Wunschkonzert - man kann sich aber dran gewöhnen und das Best-mögliche oder am wenigsten Schlechte daraus machen. Hier sieht man nicht, wie Menschen sich ihre Träume verwirklichen, sondern wie Selbstverwirklichung aussieht, wenn selbstbeherrschte Verantwortung unter den dominierenden Zwängen übernommen wird. Das Modell des selbstbewussten Lebens ist hier in der Weise der Sehnsucht gestaltet. Objekt der Sehnsucht ist wie so oft das Exotische und Fremde, aber auch die Liebe, und unser Held der Erzählung ist ein leidenschaftlicher Verehrer der Fremde sowie des Wissens über sie (die exotische Neue Welt, Indianer). Das hebt ihn aus seinem dörflichen Umfeld heraus, dass sich sonst nur von den Umständen periodisch erscheinender Schicksalsschläge dazu antreiben lässt, seine Furcht vor der Fremde aufzugeben, indem die Furcht vor dem Bekannten überwiegt.
Die Pointe ist: Scheinbar befindet sich der Zuschauer des Films zum Thema des Schauspiels in einem analogen Verhältnis, wie unser Held zur Fremde und zu den Indianern. Er verfügt mit Büchern über ein Medium, über welches die beschriebenen Indianer nicht verfügen und lediglich von den Beobachtern geschaffen werden, ähnlich verhält es sich mit Edgar Reitz, seinen Schauspielern und seinen Zuschauer in der Zuhilfenahme das Instrument des Films, um die alte filmlose Zeit in den Blick zu bekommen. Über weitere Analogien ließe sich spekulieren; sie betreffen definitiv den appellativen Aspekt des Films.
Die andere Heimat ist kein schöner Film, aber ein echt guter. Er ist schmutzig, eng, unsentimental und mühselig – letzteres auch für den Zuschauer. Ein Film von 4 Stunden Laufzeit, mit unzähligen Szenen in schleppender Geschwindigkeit und äußerst minimaler musikalischer Untermalung. Zwar schreibt unser Held Tagebuch, aber erleichternde Kommentierungen der Handlung sind Mangelware. So wie die Menschen den Feldern ihre kargen Lebensmittel abringen, so ringt man dem Film einen erzählerischen Zusammenhang in Bezug auf das Thema – die Sehnsucht - in harter mitlaufender Überlegung ab. Gleichwohl kommt einem das Schritttempo des Films entgegen. Aber man sieht, dass auch Mühsal ihre Faszination besitzt.
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#33
Le passé - Das Vergangene
Dieser Film ist empfehlenswert, wie vorher auch schon "Nader und Simin" lebt dieser Film von einer Erzählung unter mehrfachem Perspektivenwechsel. Das komplizierte Familiengefüge wird erzählerisch begriffen, indem die Handlung nach und nach von jedem der entscheidend beteiligten Figuren fortgesponnen wird. Anders als gewohnt gibt es nicht den einen wichtigen Hauptdarsteller, an dem sich die gesamte Handlung abspielt und zu der andere Akteure nur ihre Beiträge beisteuern. Die Figuren übernehmen eher nach und nach die Leitung über einen Handlungsabschnitt, womit der Film nicht so verwirrend wie ein Episoden-Film erscheint, andererseits die Haupthandlung nicht einfach mit einer Hauptfigur identisch gesetzt wird. Die Haupthandlung bleibt dabei einheitlich. Viele Handelnde ziehen an einem Handlungs-Strang - sie starten eben nicht jeder für sich einen Nebenstrang, der dann in die Haupthandlung eingreift. Damit scheint die Erzählstruktur - die Form - eine Metapher auf die Familie - den Inhalt - zu sein. So wie die Figuren als Protagonisten eines Erzählstranges auftreten, so ziehen die Mitglieder der Familie als Teil einer Gemeinschaft an einem Strang, womit jeder seinen Teil beiträgt, um eine Einheit zu schaffen.
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